Glasfenster und Stifterfiguren im Naumburger Dom


Ruth Maria Hirschberg, September 2001


Als im November 1989 die "Mauer" fiel und Berlin auf einmal wieder ein Umland hatte, empfahl einer meiner Professoren mir und meinen Mitstudenten unter Berufung auf ein "studium generale", diese Chance doch zu nutzen und uns die vielen Sehenswürdigkeiten in Brandenburg und Umgebung anzusehen und damit etwas für unsere Allgemeinbildung zu tun – allen voran erwähnte er den Naumburger Dom. Damals lächelten ich und meine Mitstudenten nur gequält, denn wir befanden uns mitten im Grundstudium und waren froh, wenn wir wenigstens sonntags nicht den ganzen Tag in der Uni oder vor unseren Büchern verbrachten, und die Bemerkung zum "studium generale" erschien uns wie ein wenig subtiler Hohn.

Doch der Naumburger Dom blieb in meinem Unterbewußtsein verhaftet, und jedesmal, wenn ich auf dem Weg von oder nach Berlin an Naumburg vorbeifuhr, fiel mir wieder ein, daß ich mir den Dom unbedingt anschauen sollte.

Spätestens mit dem Einstieg in das Mittelalterhobby wurde die Besichtigung des Naumburger Domes ein absolutes "Muß", sind die Stifterfiguren doch eine der Primärquellen für Kleidung und Sachkultur der Mitte des 13. Jahrhunderts in Deutschland. Und nicht nur das, sondern - besonders wichtig für uns bildquellenarme Mittelmärker - auch noch Primärquellen aus einer östlichen Grenzmark des Reiches.

(Wobei ich mit einem Augenzwinkern natürlich ausdrücklich darauf hinweisen muß, daß die Meißener markgräfliche Familie im 13. Jahrhundert eine ernstzunehmende Konkurrenz und teilweise auch erbitterter Gegner "unserer" askanischen Markgrafen in der Kolonisation des Teltow und Barnim und Teilen der Lausitz war!...)

Aber nun auf zum eigentlichen Thema...

 

Die Gründung Naumburgs und die Verlegung des Bischofsitzes

Die Geschichte der Stadt Naumburg beginnt um die Jahrhundertwende zum 10. Jahrhundert, wobei jedoch nur wenige Einzelheiten oder gar feste Daten bekannt sind.

Der Meißner Markgraf Ekkehard I, der mit der Verlegung seiner Burg in das Gebiet jenseits der Saale seinen Herrschaftsanspruch in slawisches Gebiet verlagerte, gilt als Gründer der Stadt . Der Name Naumburg leitet sich vermutlich vom Wortstamm "Neuenburg" ab. Seine Söhne und Nachfolger, die Markgrafen Hermann und Ekkehard II, ließen nach dem Tod ihres Vaters dessen Gebeine in das Naumburger Georgenkloster verlegen, das heute leider nicht mehr erhalten ist.

Diese beiden Meißener markgräflichen Brüder gelten als Stifter des Naumburger Domes. Sie ließen eine kleine Stiftskirche dort errichten, wo heute noch der Westchor des gotischen Domes steht. Als im Dezember 1028 Papst Johannes XIX die Verlegung des Zeitzer Bischofsitzes nach Naumburg genehmigte, wurde nicht weit davon ein bischöflicher Dom, dem Stile nach ein frühromanischer Bau, errichtet, der erst im Jahre1044 vollendet und von Bischof Hildeward geweiht wurde.

Der heute noch erhaltene spätromanisch-gotische Dom wurde im 13. Jahrhunderts an gleicher Stelle erbaut, war jedoch etwas größer als sein frühromanischer Vorgänger. Die Bauherren, der Naumburger Bischof (ebenfalls ein Wettiner) und sein Kapitel, ließen im Westchor des Domes Stifterdenkmäler der Markgrafen Hermann und Ekkehard II, deren Ehefrauen sowie weiterer Familienangehöriger aus der markgräflichen Familie errichten


Der spätromanisch-gotische Dom

Um das Jahr 1210 wurde mit dem Neubau des Domes begonnen. Der Bauherr dieses spätromanischen Domes war Bischof Engelhard (1207-1242). Er ließ den ganzen Dom erneuern, doch hatte das Bauwerk in dieser Form keinen langen Bestand.

Schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurde der frühgotische Westchor angefügt, der die oben erwähnte Ekkehardinische Stiftskirche ersetzte. Der gotische Dom wurde zügig erbaut und war vermutlich bereits um das Jahr 1260 vollendet.

Der unbekannte Werkmeister dieses frühgotischen Domes wurde wahrscheinlich in Frankreich geschult und orientierte sich wohl auch an deutschen Vorbildern, beispielsweise am Bamberger Dom. Spuren seines Werkes werden an den Kathedralen von Reims, Amiens, Noyon und Chartres gesehen, und er soll auch in Metz und Mainz als Steinmetz gearbeitet haben. Die berühmten Plastiken des Meissener Domes stammen vermutlich ebenfalls vom Naumburger Meister.

Bauherr des gotischen Domes war Bischof Dietrich II (Teoderic) von Wettin (1243-1272), ein Halbbruder Markgraf Heinrichs des Erlauchten von Meißen. Dietrich hatte sich mit Dietrich von Eppstein, dem Mainzer Erzbischof, gegen Kaiser Friedrich II zusammengeschlossen, daher ist zu vermuten, daß der Naumburger Meister auf Empfehlung des Mainzer Erzbischof nach Meißen kam.

Gegen 1330 (wohl unter Bischof Heinrich I, 1316-1334) wurde das hochgotische Polygon des Ostchores angefügt, wofür die spätromanische Chorapsis niedergelegt werden mußte.

Dreikönigskapelle, davor Standbild Ekkehards; Blick vom Kreuzgang

Abb. 1. Dreikönigskapelle, davor Standbild Ekkehards; Blick vom Kreuzgang


Die Glasfenster

Besonders bemerkenswert sind auch die Glasfenster des Naumburger Domes. In den Fenstern des Westchores befindet sich die älteste Gruppe der Naumburger Farbverglasung. Diese Fenster stammen wahrscheinlich aus den letzten Jahren der frühgotischen Bauperiode, also aus dem zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts. Die Figuren ähneln in Stil, Pose und Kleidung den im gleichen Zeitraum entstandenen Stifterfiguren des Naumburger Meisters und sind damit ebenfalls aufschlußreiche Quellen zum Studium der Kleidung und Sachkultur des 13. Jahrhunderts. Das ikonographische Programm dieser Fenster beschränkt sich auf die Darstellung heiliger Männer und Frauen.

Glasfenster, Westchor: St. Pankratius, St. Margareta und St. Sebastian

Abb. 2. Glasfenster, Westchor: St. Pankratius, St. Margareta und St. Sebastian

Der stilistische Einfluß der Glasfenster des Naumburger Domes reichte auch bis in die Mark Brandenburg – aus der Dorfkirche in Kuhsdorf stammt eine der ältesten erhaltenen Glasfenster der Mark, die heute im Brandenburger Dommuseum aufbewahrt wird und um 1260-1270 entstanden ist. Das sogenannte "Quitzow-Fenster" zeigt die beiden Stifter dieser Kirche, Conrad von Quitzow und seine Gattin (wahrscheinlich Margarethe). Die beiden Stifter gleichen in Haltung und Tracht den Stifterfiguren und den Heiligendarstellungen in den Glasfenstern des Naumburger Domes.

"Quitzow-Scheibe" aus der Kuhsdorfer Dorfkirche, um 1260/1270

Abb. 3. Die sogenannte Quitzow-Scheibe, aus der Dorfkirche in Kuhsdorf, um 1260/1270

Die Ostchorverglasung des Domes stammt größtenteils aus der ersten Hälfte des 14. und dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts.

Altarretabel und Glasfenster, Ostchor

Abb. 4. Altarretabel und Glasfenster, Ostchor


Die Stifterfiguren

Die wettinischen Markgrafen im 13. Jahrhundert:

Als im 12. Jahrhundert der Askanier Albrecht der Bär mit der Mark Brandenburg belehnt wurde, erhielt der Wettiner Konrad die Grenzmark Meißen zu Lehen. Die Wettiner standen in stetiger Konkurrenz zu den eng benachbarten ludowingischen Grafen in Thüringen und versuchten, ihr Herrschaftsgebiet gen Osten in slawisches Territorium auszuweiten. Damit kamen sie vor allem mit den polnischen Herzogtümern in Konflikt.

Nachdem der wettinische Markgraf Dietrich der Bedrängte im Jahre 1221 gestorben war, versuchte der thüringische Landgraf Ludwig IV (Gatte der Heiligen Elisabeth von Thüringen) 1223, sich die Markgrafschaft Meißen anzueignen. Dieser Versuch schlug jedoch fehl, und er mußte im Frieden von Neuenburg seinen Neffen Heinrich den Erlauchten, dessen Vormund er zeitweilig gewesen war, als Markgraf von Meißen anerkennen. Heinrich der Erlauchte war ein berühmter Minnesänger und wurde beispielsweise in der Manessischen Liederhandschrift abgebildet.

Im Zuge der Ostkolonialisierung traten die Wettiner Anfang des 13. Jahrhunderts auch in scharfe Konkurrenz mit den askanischen Markgrafen um die Besiedlung des Barnim und Teltow. Dabei wurden sie vom Magdeburger Erzbischof unterstützt, unterlagen jedoch letztendlich den Askaniern. Weitere Grenzkonflikte zwischen Wettinern und Askaniern entstanden in der Mitte des 13. Jahrhunderts um die Mark Lausitz. Nachdem sie im Jahre 1247 die Erbschaft der Ludowinger in Thüringen antreten konnten, wurden die Wettiner zur einflußreichsten Adelsmacht in Mitteldeutschland.

Die Stifterfiguren – Wettinisch-Ekkehardinische Persönlichkeiten aus dem 11. Jahrhundert:

Wie bereits erwähnt, stellen die sogenannten Stifterfiguren im Westchor des Naumburger Domes Figuren aus der ruhmreichen Vergangenheit der Familie im 11. Jahrhundert dar, allen voran die beiden markgräflichen Brüder Hermann und Ekkehard, die als Stifter des Domes gelten. Die Plastiken umfassen vier Ehepaare und vier einzelne Männer aus der meißener markgräflichen Familie bzw. mitteldeutschen Adelsgeschlechtern:

Markgraf Ekkehard und seine Gemahlin Uta, Markgraf Hermann und seine Gattin Reglindis, Graf Dietrich von Brehna und Gemahlin Gerburg, Graf Wilhelm von Camburg und Ehegattin Gepa sowie Dietmar, Timo von Kistritz, Syzzo von Käfernburg und Konrad.

Ekkehard und Uta; Gerburg; Hermann und Reglindis

Abb. 5. Ekkehard und Uta; Gerburg; Hermann und Reglindis

Hermann war der ältere, Ekkehard der jüngere der beiden markgräflichen Brüder. Im Abbild der Stifterstatuen scheint es umgekehrt zu sein – vielleicht als Hinweis darauf, daß Ekkehard älter wurde und politisch bedeutsamer war als sein Bruder.

Die Ehefrau Markgraf Hermanns, Reglindis, war die Tocher des Herzogs und Königs Boleslaw I von Polen. Dieser nutzte die Schwäche der wettinischen Herrscher nach der Ermordung des Grafen Ekkehard I aus, drang mit seinen Truppen westwärts über die Elbe und konnte seinem Schwiegersohn Hermann die Mark Lausitz entreißen. Hermann starb ohne Erben, und so folgte ihm sein Bruder Ekkehard II in der Herrschaft nach. Ekkehard war Kaiser Konrad treu ergeben, ließ aber seinen Schwager Dietrich von Wettin unritterlich ermorden, als dieser mit der Mark Lausitz belehnt wurde (die in der Zwischenzeit wieder aus der polnischen Hand zurückerobert worden war). Seine Gemahlin Uta war eine Gräfin von Ballenstedt.

Wilhelm; Syzzo; Dietmar

Abb. 5. Wilhelm von Camburg, Syzzo von Schwarzburg-Käfernburg und Dietmar

Wilhelm von Camburg war ein erbitterter Gegner Heinrichs IV. Im Jahre 1075 mußte er zu den benachbarten Slawen fliehen. Seine Gemahlin war Gepa.

Die Schildinschrift "Syzzo comes do" weißt auf einen Grafen von Thüringen bzw. Graf Syzzo den Stifter. Er war Graf von Schwarzburg-Käfernburg und Schirmherr des Naumburger Hochstiftes. Sein Bruder war der Naumburger Bischof Hildeward, dessen Liegegrabmal im Ostchor des Domes ebenfalls vom Naumburger Meister geschaffen wurde.

Im Zuge des Konfliktes zwischen dem sächsischen Adel und dem Kaiser wurde Graf Dietmar eines Anschlages auf das Leben Kaiser Heinrichs III beschuldigt und mußte sich im Zweikampf einem Gottesurteil unterwerfen, in dem er unterlag. Seine Schildinschrift "Dietmarus comes occisus" (Graf Dietmar, der erschlagen wurde) deutet vielleicht darauf hin. Dietmar war Sohn des billungischen Grafen Bernhard und durch die Schwester seines Vaters Schwanhild Vetter von Hermann und Ekkehard.

Dietrich; Gepa; Thimo

Abb. 7. Dietrich von Breha, Gepa und Thimo von Kistritz

Der Wettiner Dietrich von Breha war mit Gerburg verheiratet.

Wie bereits erwähnt, war Gepa die Gemahlin Wilhelms von Camburg. Nach älteren Quellen stellt diese Stifterfigur jedoch nicht Gepa sondern Adelheid dar, die Äbtissin eines Klosters in Gernrode war und als Mit-Stifterin des Domes bezeugt ist.

Auf Thimos Schild steht "Thimo de kistericz, qui dedit ecclesiae septem villas" – Thimo von Kistritz, der der (Naumburger) Kirche sieben Anwesen schenkte. Sein Vater, Graf Dietrich, wurde im Jahre 1034 auf Veranlassung Ekkehards II ermordet, und tatsächlich scheint sich sein Standbild voller Wut und Zorn in Richtung Ekkehard zu wenden.

Als letzte Figur ist Konrad von Landsberg zu nennen, ein Neffe der beiden markgräfllichen Brüder und Bruder Thimos, dessen Standbild vermutlich nicht vom Naumburger Meister gefertigt wurde.


Abbildungsnachweis:

Abb. 1 und 4: eigene Aufnahmen der Autorin

Abb. 2: Modifiziert nach Schmidt (1975).

Abb. 3: "Quitzowscheibe" aus: Glasmalerei in Brandenburg vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Marina Flügge. Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms, 1998

Abb. 5, 6 und 7: Modifiziert nach Schubert und Bäumer/Hege (1941).

 

Quellen und Literatur:

 

 

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